Textatelier
BLOG vom: 13.11.2021

Kolumnen: Neues aus der Hebelstraße, Folge II

Autor: Wernfried Hübschmann, Lyriker, Essayist, Hausen im Wiesental

 

Der in Hausen im Wiesental, im „Hebeldorf“ (ein Schelm, wer hier an Werkzeug denkt!) wohnende Schriftsteller Wernfried Hübschmann schreibt seit einigen Monaten regelmäßig unregelmäßig Kolumnen für die lokale „Hausener Woche“. Wir bringen hier in Abständen jeweils 3 von 15 bisher erschienenen Texte und ergänzen künftig das nachwachsende Textkraut und seine (Stil)Blüten. Viel Vergnügen!

 

Schöne Grüße aus der Zukunft

Neulich bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, dass ich nur über Ereignisse schreibe, die in der Vergangenheit liegen, also schon vorbei sind: erster Mai, Vatertag und so. Das ist fein beobachtet, ich widerspreche nicht. Nun, es ist ein journalistisches Dilemma, dass nur von Ereignissen erzählt werden kann, auf die wir zurückblicken können. Aber die Idee ist toll: Berichten Sie doch mal über die Zukunft, Herr Hübschmann! Also schön: das mache ich gerne, wenn ich mich hier als Science-Fiction-Autor warmlaufen darf. Aldous Huxley, George Orwell und Stanislaw Lem sind keine schlechte Nachbarschaft. Trotzdem ist das so eine Sache mit der Zukunft. Ich besitze keine patentierte Glaskugel, nur bunte Murmeln zum Spielen. Und Prognosen sind immer schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Doch ich will nicht zickig werden … und berichte allhier mit vorauseilendem Gehörsinn und dichtungsgetreu über das grandiose Hebelfest 2022, über die Inbetriebnahme des EWS-Nahwärmenetzes, die gelungene Eröffnung des Markus-Pflüger-Heims in Hausen 2023 (in Anwesenheit des MP = „Ministerpräsidenten“), über die allgemeine Zufriedenheit mit der mutigen Neugestaltung der Hebelstraße, die überraschende Zustimmung der Unfreien Wähler zur Verlagerung des Rathauses ins heutige Schulhaus, geplant für 2026, über die Einweihung des neuen Bauhofs im Herbst 2024 mit einem Platzkonzert der Hebelmusik nebst Platzregen und anschließendem Grillfest. Sie sehen, mir gehen gerade die Gäule durch. Für meinen Deutschlehrer war schon damals „blühende Phantasie“ so etwas wie ein Schimpfwort. Einmal sollten wir in einem Erlebnisaufsatz über das letzte Wochenende berichten. Das tat ich, in dem ich das Sonntagsessen meiner Mutter (deftige böhmische Küche!) lobte und von „gefräßiger Stille“ sprach, die am Familientisch entstanden war. Mein Lehrer unterkringelte diese Formulierung und schieb mit fetter roter Tinte an den Rand: GEHT NICHT! Seitdem halte ich gesunde Distanz zu Deutschlehrer*Innen. Und genieße gutes Essen gerne einsam und schweigend. Wie sagt das Sprichwort: Reden ist Silber, Schreiben ist Gold. Nix für ungut! Ihr Wernfried Hübschmann.

 

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Die Ente bleibt drin!

Um Nachfragen zuvorzukommen: Was ist eigentlich eine „Kolumne“? Nun, der Begriff leitet sich vom lateinischen columna her, das heißt „Säule“ oder „Stütze“ und bezeichnet im Druckbild einer Zeitung die kompakte Einspaltigkeit im „Blocksatz“ (siehe „Hausener Woche“). Der Autor einer regelmäßig erscheinenden Kolumne ist ein „Kolumnist“. Nein, kein „Kommunist“! Der erste bekannte Kolumnist war ein britischer Journalist namens John Hill, das war 1751. Er schrieb unter dem Pseudonym „the inspector“. Persönlich verzichte ich auf einen Decknamen, ich schreibe mit offenem Visier. Eine Kolumne erlaubt größtmögliche journalistische und literarische Freiheit. Das macht sie mir sympathisch. Der Name Hill wiederum gefällt mir, weil er andeutet, dass der Kolumnist gleichsam die Perspektive wechselt, indem er einen Hügel (engl. „hill“) besteigt, heute diesen, morgen jenen. Das hält jung und schützt vor Einseitigkeiten und erstarrten Meinungen. Einspaltigkeit ist das Gegenteil von Einseitigkeit. Nur mit den Honoraren der „Hausener Woche“ bin ich noch nicht einverstanden. Ulrike Meinhof schrieb 1969, damals noch friedfertige Studentin: „Kolumnisten () werden relativ gut bezahlt, ihre Namen werden fett gedruckt. Kolumnen sind Luxusartikel, Kolumnisten sind Stars, in ihrer Badewanne sind sie Kapitän.“ Hinsichtlich der Bezahlung muss ich knirschend widersprechen, ich arbeite ohne Honorar. Und das Wort „Star“ scheint mir völlig übertrieben. Aber das mit dem Kapitän finde ich nett gesagt. Oder, um den hochverehrten Loriot zu zitieren: „Die Ente bleibt drin – Herr Dr. Klöbner!“ Erinnern Sie sich noch an diese rotäugigen gelben Quietsch-Entchen fürs Bad am Samstagabend? Leider aus fragwürdiger chinesischer Massenproduktion und versetzt mit toxischen Weichmachern. Wenn man sie geherzt und gedrückt hat, gaben sie ein lautes, erbarmungswürdiges Quäken von sich. Wer auf sich hielt, schaffte zwei davon an. Damit die Ente nicht so einsam ist, wenn man zu zweit in der Badewanne … So eine Ente ist auch nur ein Mensch. Also gut, Herr Müller-Lüdenscheid, die Ente bleibt drin. Solange es keine Zeitungsente ist. Nix für ungut! Ihr Wernfried Hübschmann.

 

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Der frühe Vogel

Das Sprichwort lautet: „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“ Wer zeitig aufsteht, hat mehr vom Tag und „Morgenstund‘ hat Gold im Mund“. Das spricht alles sehr dafür, sich vor Sonnenaufgang aus dem Bett zu schwingen, ein Glas Wasser, Tee oder ein kleiner Kaffee müssen genügen. Hinaus in die Natur! Im Hebeldorf können Sie nichts verkehrt machen, jeder Weg verspricht um sechs Uhr morgens ein Bilderbad, eine Flut von Eindrücken für die verschlafenen Sinne, gute Luft und Stärkung für den Tag. An den Sonntagen ist es um diese Zeit besonders still, jetzt im Juni. Nach den üppigen Regenfällen der letzten Wochen steht das Gras hoch, die erste Mahd ist im Gange und die Vögel finden einen reich gedeckten Frühstückstisch. Kleine Spatenkolonien schwirren knapp über den Boden, ein Eichelhäher hat viel zu tun, die Amseln sowieso. Die aufgehende Sonne setzt gerade der Hohen Möhr die Krone auf. Noch glitzern die Wiesen vom Nachttau. Es riecht nach den würzigen Aromen der Gräser, Kräuter und Blumen. Auch die Brennnesseln, die ich als Tee schätze, stehen in sattem Dunkelgrün und meterhoch wie eine treue Wachmannschaft an den schmalen Wegen im Unterdorf und an der Wiese. Am Nachmittag werden die Landwirte kommen, um das Gras zu wenden. Und hoffen, dass es heute nicht regnet. Holunderbüsche jonglieren ihre filigranen Teller wie die Artisten im chinesischen Staatszirkus. Der schwarze Holunder, auch Holler oder Holder genannt, galt früher als Abwehrzauber gegen Hexen und böse Geister. Daher pflanzte man ihn nah am Haus. Die hellen Blütenstände duften wunderbar. Man kann sie auch als Küchlein in der Pfanne ausbacken. Den Saft, den die fast schwarzen (daher der Name) Dolden im Herbst geben, riecht leicht modrig, lässt sich aber gut mit Apfel und Birne kombinieren. Falls Ihnen diese Morgenszene zu idyllisch erscheinen sollte, will ich gerne ergänzen: Der erste Vogel fängt den Wurm – die zweite Maus holt den Käse, weil … aber nein, heute erlauben wir uns ein friedvolles Durchatmen. Komm morgen wieder, Wirklichkeit! Wir rücken den Hut zurecht und denken an Hölderlin, dessen Name den Holunder preist. Da gab es doch diesen zauberhaften Roman von Eric Malpass „Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung“ (1967 auf deutsch erschienen). Das ist ein passendes Hausener Sommersonntagsmotto

Anmerkung: Die Kolumnen in Folge II wurden im Frühjahr 2021 in der „Hausener Woche“ publiziert.

 

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